Megaflut

Riesenrippel im Kurai-Becken, Altai, Russland, als Merkmal von Megafluten

Als Megaflut gelten Fluten mit Spitzenabflüssen von mehr als einer Million Kubikmeter pro Sekunde, die durch das Einstürzen einer vorher einen See begrenzenden Barriere verursacht werden. Dazu gehören beispielsweise Eisdammbrüche, der Bruch von Erd- oder Felsbarrieren sowie das Überlaufen eines Ozeans in ein Binnenbecken. Ein Zusammenbruch kann vielfältige Ursachen haben, etwa steigenden Wasserdruck, Unterspülung oder ein Erdbeben.

Landschaften können durch Megafluten in kurzer Zeit oft grundlegend und irreversibel verändert werden. Megafluten sind durch typische geologische Merkmale identifizierbar. Diese wurden nicht nur auf der Erde, sondern auch auf dem Mars gefunden, was darauf hindeutet, dass es auch dort zu Megaflutereignissen gekommen ist.

Geschichte

J Harlen Bretz (1949)

Die Annahme, dass Megafluten Landschaften in kurzer Zeit irreversibel verändern können, wurde erst im Zuge der Debatte über die Entstehung der Channeled Scablands im heutigen US-Bundesstaat Washington akzeptiert. J Harlen Bretz nahm 1923 erstmals an, dass die Missoula-Fluten die Channeled Scablands geformt haben.[1]

Dies widersprach den gängigen Annahmen des Aktualismus, dem zufolge geologische Prozesse nur allmählich ablaufen. Erst als die Beweise für den Ursprung der Megafluten überzeugender wurden, akzeptierte die wissenschaftliche Gemeinschaft schließlich, dass katastrophale Ereignisse wie Megafluten Perioden langsamer geologischer Entwicklung überlagern können.[2]

Die letzten irdischen Megaflutereignisse fanden an der Grenze vom Pleistozän zum Holozän vor mehr als 10.000 Jahren statt. Eine wesentlich kleinere Flut im Jahr 2002 am Canyon Lake in Texas, einem Stausee am Guadalupe River, lieferte jedoch wertvolle Informationen über Megaflutereignisse. Sie dokumentierte, welche tiefgreifenden geologischen Veränderungen große Wassermassen in sehr kurzer Zeit bewirken können.[3]

Landschaftsformen

Megafluten führen zu einer Vielzahl markanter geologischer Formen, die entweder durch Erosion oder Sedimentablagerungen entstehen. Dazu zählen unter anderem tiefe Canyons, stromlinienförmige Inseln, Riesenrippel, abrupte Steilhänge, Wasserfälle, Kolke, ausgehöhlte Becken, massive Sedimentablagerungen und andere Formen. Die Größe der Veränderung lässt sich in Mikro-, Meso-, Makro- und Megaformen einteilen.[4]

Hinweise auf Megafluten sind Sedimentablagerungen in Form von Riesenrippeln. Diese wurden etwa im Altai, aber auch auf dem Mars nachgewiesen und deuten auf prähistorische Megaflutereignisse auf dem roten Planeten hin.[5] Neben Geröll transportierten die Megafluten auch große Felsbrocken wie den Melon Gravel. Das sind abgerundete Basaltblöcke mit einem Durchmesser von etwa einem bis drei Metern, wobei die größten über vier Meter groß sind. Sie gelten als Beweis für das katastrophale Ausmaß der Flut.[6]

Beispiele für Megafluten

Überlauf eines Ozeans

Rekonstruktion der Meerenge von Gibraltar an der Wende vom Miozän zum Pliozän

Für die Flutung des zuvor vom Weltmeer abgeschnittenen und teilweise ausgetrockneten Mittelmeers gibt es mehrere Szenarien. Ein Szenario geht von einer Megaflut durch die Straße von Gibraltar aus, der sogenannte Zanclean-Flut, die das Mittelmeerbecken innerhalb weniger Jahre füllte.[7] Hinweise auf ein Megaflut-Ereignis lieferten die typischen Erosionsmerkmale, die auch bei eiszeitlichen Megaflut-Ereignissen nachgewiesen wurden. Dazu gehören eine nahezu 390 Kilometer lange und mehrere hundert Meter tiefe Erosionsrinne, die sich vom Golf von Cádiz im Atlantik bis zum Algerischen Becken im westlichen Mittelmeer erstreckt. Aus dieser Rinne wurden etwa 1000 Kubikkilometer Sedimente und Gesteine ausgewaschen.[8] Untersuchungen von zooarchäologischen Gruppen von Artefakten sowie die Analyse der Isotopenzusammensetzung von drei planktisch lebenden Foraminiferen-Arten bestätigten zudem, dass es an der messinisch-zancleanischen Grenze zu einer erheblichen Veränderung kam. Dies lässt sich am plausibelsten durch eine schnelle Wiederherstellung der marinen Bedingungen im Mittelmeer durch die Zanclean-Flut erklären.[7]

Zudem wurde abgelagertes Erosionsmaterial in Gebieten mit geringer Strömungsgeschwindigkeit nachgewiesen. So wurde beispielsweise am Malta-Steilhang ein sechs Kilometer breiter Canyon entdeckt. In dessen Nähe wurden im Ionischen Meer Sedimente mit einem Volumen von etwa 1600 Kubikkilometern abgelagert, die in Alter und Beschaffenheit mit Megaflut-Ablagerungen übereinstimmen. Zudem wurden längliche Sedimentformationen entdeckt, die parallel zum Flutkanal im Alborán-Meer verlaufen. Diese Formationen sind Äquivalente zu Riesenrippeln aus Kies und Geröll, wie sie ebenfalls bei terrestrischen Megaflut-Ereignissen beobachtet werden.[8] Die Flut erreichte demnach einen Spitzenabfluss von bis zu 100 Millionen Kubikmetern pro Sekunde und gehört damit zu den größten bekannten Megafluten.[9]

Bruch von Gestein- oder Erdwällen

Überflutungs­richtung der Bonneville-Flut

Die Bonneville-Flut war eine Megaflut, die sich während der letzten Eiszeit vor rund 14.500 Jahren ereignete. Dabei brach am Red Rock Pass im Südosten Idahos die Barriere des Lake Bonneville, eines Vorläufersees des heutigen Großen Salzsees in Utah. Dieser hatte zu jener Zeit seine größte Ausdehnung erreicht und umfasste eine Fläche von etwa 55.000 Quadratkilometern.[6]

Durch den Dammbruch überschwemmten große Wassermengen Teile des südlichen Idaho und des östlichen Washington. Die Flut spülte tiefe Kanäle aus, hinterließ ausgedehnte Sand- und Kiesrippel und Felsbrocken. Die Flutwelle hielt mehrere Wochen an und zählt zu den größten Megafluten der bekannten geologischen Geschichte. Dabei wurden Hunderte Quadratkilometer Sedimente, die flussaufwärts erodiert worden waren, in Gebieten mit geringer Fließgeschwindigkeit abgelagert. Die Flut schuf die Shoshone Falls und mehrere andere Wasserfälle entlang des Snake Rivers. Sie vergrößerte auch Nebenflüsse, darunter den Bruneau River und den Salmon Falls Creek. Danach drang die Flut in den Hells Canyon ein und weitete die Schlucht erheblich aus. Die mit Sedimenten beladene Flut erreichte den Pazifischen Ozean über den Columbia River und strömte schließlich in das Abyssal des Pazifiks.[2] Die Flut entwässerte die oberen 107 Meter des Bonneville-Sees mit einem Volumen von über 5000 Kubikkilometern. Ein Großteil des von der Flut transportierten Sediments wurde in der Nähe der Mündung des Snake Rivers abgelagert.[6]

Entleerung von Eisstauseen

Vereisung in Europa während der Elster-Kaltzeit

Es wird angenommen, dass eine Landbrücke, die sogenannte Weald-Artois-Antiklinale, vor rund 450.000 Jahren Großbritannien mit dem europäischen Festland verband. Während der Elster-Kaltzeit wuchsen der irisch-britische und der fennoskandische Eisschild zusammen. Dadurch wurden die nördlichen Abflusswege der Paläoflüsse blockiert, sodass sich ein ausgedehnter Eisstausee in der südlichen Nordseeregion bildete. Dieser staute sich zwischen dem Eisschild im Norden und der Weald-Artois-Antiklinale im Südwesten auf.[10]

Die dauerhafte Isolierung Großbritanniens vom europäischen Festland könnte durch die katastrophale Entwässerung dieses proglazialen Sees verursacht worden sein. Hochaufgelöste Sonardaten des Ärmelkanals zeigen ein großes, von Felsen überdecktes Tal mit einer Vielzahl verschiedener Landschaftsformen wie stromlinienförmige Inseln und längs verlaufende Erosionsrillen. Dies stützt die Hypothese, dass der Bruch eines Felsendamms an der Straße von Dover eine Megaflut im südlichen Nordsee-Becken auslöste. Diese entwässerte den proglazialen See, was zu einer großflächigen Erosion und somit zur Isolierung Großbritanniens führte.[11]

Marsianische Megafluten

Morphologische Hinweise auf große Überschwemmungen wurden sowohl im Ma'adim Vallis als auch im Uzboi-Ladon-Morava-System entdeckt.[12] Durch den Verlust seiner Atmosphäre und seines Magnetfelds verlor der Mars wahrscheinlich einen Teil seines Wassers in den Weltraum. Ein weiterer Teil ging durch die Hydratation der Krustengesteine in Form von Hydroxylmineralien verloren. Durch die Messung der Ausbreitungsgeschwindigkeit seismischer Wellen, die durch Marsbeben oder Meteoriteneinschläge ausgelöst wurden, fand man Hinweise darauf, dass möglicherweise in einer Tiefe von 5,4 bis 8 Kilometern eine große Menge Wasser in porösen Mineralien eingeschlossen ist. Diese Schicht, die eine kennzeichnende Anomalie der Scherwellengeschwindigkeit aufwies, könnte genügend Wasser enthalten, um den Mars mit einem 520 bis 780 Meter tiefen Ozean zu bedecken.[13]

Literatur

  • Devon M. Burr, Paul A. Carling, Victor R. Baker: Megaflooding on Earth and Mars, Cambridge University Press, Cambridge 2009, ISBN 978-0-521-86852-5.
Commons: Megafluten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. J Harlen Bretz: The Lake Missoula Floods and the Channeled Scabland. In: The Journal of Geology, 77, 1969, S. 505–543, doi:10.1086/627452.
  2. a b Victor R. Baker: Overview of megaflooding: Earth and Mars. In: Devon M. Burr, Paul A. Carling, Victor R. Baker: Megaflooding on Earth and Mars, Cambridge University Press, 2009, ISBN 978-0-521-86852-5, S. 1–4.
  3. Michael P. Lamb, Mark A. Fonstad: Rapid formation of a modern bedrock canyon by a single flood event. In: Nature Geoscience. 2010, S. 477–481, doi:10.1038/ngeo894.
  4. Mandy J. Munro-Stasiuk u. a.: The morphology and sedimentology of landforms created by subglacial megaflood. In: Devon M. Burr, Paul A. Carling, Victor R. Baker: Megaflooding on Earth and Mars, Cambridge University Press, S. 78–103, 2009, ISBN 978-0-521-86852-5.
  5. V. R. Baker: The Spokane Flood Controversy and the Martian Outflow Channels. In: Science. 202, 1978, S. 1249–1256, doi:10.1126/science.202.4374.1249.
  6. a b c Harold Edwin Malde: The Catastrophic Late Pleistocene Bonneville Flood in the Snake River Plain. Geological Survey Professional Paper, Ausgabe 596, 1968, (Online), (PDF; 15 MB).
  7. a b A. Caruso u. a.: The late Messinian “Lago-Mare” event and the Zanclean Reflooding in the Mediterranean Sea: New insights from the Cuevas del Almanzora section (Vera Basin, South-Eastern Spain). In: Earth-Science Reviews. 200, 2020, S. 102993, doi:10.1016/j.earscirev.2019.102993.
  8. a b D. Garcia-Castellanos u. a.: The Zanclean megaflood of the Mediterranean – Searching for independent evidence. In: Earth-Science Reviews. 201, 2020, S. 103061, doi:10.1016/j.earscirev.2019.103061.
  9. A. Micallef u. a.: Evidence of the Zanclean megaflood in the eastern Mediterranean Basin. In: Nature. Scientific Reports. 8.1, 2018, doi:10.1038/s41598-018-19446-3.
  10. D. Garcia-Moreno u. a.: Middle–Late Pleistocene landscape evolution of the Dover Strait inferred from buried and submerged erosional landforms. In: Quaternary Science Reviews. 203, 2019, S. 209–232, doi:10.1016/j.quascirev.2018.11.011.
  11. S. Gupta, J. S. Collier, A. Palmer-Felgate, G. Potter: Catastrophic flooding origin of shelf valley systems in the English Channel. In: Nature. 448.7151, 2007, S. 342–345, doi:10.1038/nature06018.
  12. P. I. Rossman III, J. A. Grant: Large basin overflow floods on Mars. In: Devon M. Burr, Paul A. Carling, Victor R. Baker: Megaflooding on Earth and Mars, Cambridge University Press, S. 211, 2009, ISBN 978-0-521-86852-5.
  13. W. Sun, H. Tkalčić, M. G. Malusà, Y. Pan: Seismic evidence of liquid water at the base of Mars’ upper crust. In: National Science Review. 12.6, 2025, doi:10.1093/nsr/nwaf166.