Saodat Ismailova

Saodat Ismailova (* 1981 in Taschkent) ist eine usbekische Filmemacherin. Ihre Filme, Dokumentationen, Videoinstallationen und Multimedia-Performances beleuchten häufig die Geschichte und kulturelle Identität der Menschen ihres Heimatlandes im postsowjetischen Zentralasien, indem die Künstlerin sich auf das Wissen ihrer Vorfahren und epische Folkloregeschichten stützt. Die Werke von Saodat Ismailova wurden international sowohl bei Film- als auch bei Kunstveranstaltungen gezeigt.[1][2][3]

Leben

Saodat Ismailova war die Tochter eines Kameramanns, der Filme für das usbekische Kino drehte. Mit ihrer Großmutter, die Tochter eines Geistlichen in Kasachstan, teilte Ismailova 21 Jahre lang ein Zimmer und wurde von deren Geschichten aus weiblicher Perspektive angeregt.[1]

Von 1997 bis 2002 studierte Saodat Ismailova Film und Fernsehen am Staatlichen Institut der Künste in Taschkent und Fernsehen und wurde von Regisseuren aus den 60er und 70er Jahren wie Sergei Iossifowitsch Paradschanow und Andrei Arsenjewitsch Tarkowski inspiriert. 2005 bis 2007 schloss Saodat Ismailova ein Masterstudium an.[1][4]

2008 gründete Ismailova die Produktionsfirma MAP, die sich der Entwicklung des jungen zentralasiatischen Kinos widmet.[5]

Von 2015 bis 2017 studierte Saodat Ismailova an der Kunstschule Le Fresnoy – Studio national des arts contemporains in Lille.[4][6]

Im Jahre 2021 gründete Saodat Ismailova in Taschkent die Forschungsgruppe Davra, die sich der Erforschung, Dokumentation und Verbreitung zentralasiatischer Kultur und mittelasiatischen Wissens widmet.[7][8]

Seit 2002 lebt Saodat Ismailova abwechselnd in Paris und Taschkent.[1][3]

Werk

Die Filme von Saodat Ismailova sind geprägt von langen, ruhigen und langsamen Einstellungen, in denen die Kamera häufig in einem meditativen Stil über leere, bergige Landschaften blickt. Die Filme nehmen dabei oft Bezug auf alte Märchen und religiöse Rituale.[1]

Gruppenausstellungen

Einzelausstellungen

  • 2014: Saodat Ismailova: Celestial Circles, Neue Galerie im Höhmannhaus, Augsburg[4]
  • 2017: The Haunted, Tromsø Kunstforening, Tromsø[4][23]
  • 2018: Le Projet Qyrq Qyz et les quarante jeunes filles, interdisziplinäre Multimedia-Performance, Musée du quai Branly, Paris[2][3][6][24][25][A 10]
  • 2018: Qyrq Qyz, Brooklyn Academy of Music, New York[25][26]
  • 2018: Syncretic Verses, Ilchom-Theater, Taschkent[3][4][A 11]

Filmfestivals

Preise und Auszeichnungen

  • 1999: Gewinnerin des Grand Prix beim Tashkent Student Film Festival[6]
  • 2002: Artist in Residence Fabrica, Benetton Group[1]
  • 2004: Preis für den besten Film für Aral. Fishing in an Invisible Sea beim Torino Film Festival, Turin[2][4]
  • 2005: Artist in Residence-Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin[25]
  • 2014: Nominierung als bester Debüt-Film bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin für den Film 40 Days of Silence[2][3]
  • 2014: Special Prize, 6th Tashkent International Biennale of Contemporary Art, Taschkent[4]
  • 2014: Golden Alhambra, Cines del Sur, Granada[4]
  • 2014: Preis der Jury, Festival international du film de femmes de Salé, Salé[4]
  • 2014: Beste Kamera, International Film Festival of Debut Films, Sankt Petersburg[4]
  • 2016: Preis Les Amis du Fresnoy, Best Installation, Panorama 18, Studio national des arts contemporains Le Fresnoy, Tourcoing[4]
  • 2017: Artist in Residence, Office for Contemporary Art Norway[25]
  • 2018: Special Jury Prize, DocumentaMadrid, Fugas Short Film Competition, Madrid[4]
  • 2022: Gewinnerin des Eye Art & Film Preises, EYE Film Instituut Nederland, Amsterdam[1][2][4][A 13]

Rezeption

Das Werk von Saodat Ismailova wird häufig als „hypnotisch“ beschrieben. Die Museumsdirektorin Sandra den Hamer äußert sich folgendermaßen zu den Filmen der Künstlerin:[1][2]

“There’s this fluidity in its movement from history to memories to rituals to spiritual forces.”

„Es gibt diese fließende Bewegung von der Geschichte über Erinnerungen und Rituale bis hin zu spirituellen Kräften.“

Alex Greenberger: Art news

“Saodat succeeds in creating an almost spiritual space beyond images and soundtracks. She seduces us into ‘hearing’ image and ‘seeing’ sound. Her work is intriguing, mysterious and committed, while form and aesthetics are balanced rather than overwhelming.”

„Saodat gelingt es, einen fast spirituellen Raum jenseits von Bildern und Soundtracks zu schaffen. Sie verführt uns dazu, Bilder zu „hören“ und Töne zu „sehen“. Ihre Arbeit ist faszinierend, geheimnisvoll und engagiert, während Form und Ästhetik eher ausgewogen als überwältigend sind.“

Anmerkungen

  1. Hierbei handelt es sich um eine Dokumentation über Fischer, die ein schwindendes Gewässer zwischen Kasachstan und Usbekistan bewohnen. Dabei spricht der Film nicht über Politik oder Ökologie, sondern über den Überlebenswillen der dort lebenden Menschen.
  2. Bei diesem Film handelt es sich um das Porträt einer usbekischen Frau, die bewegungslos in der Dämmerung im Bett liegt und sich die Vergangenheit und Gegenwart ihres Landes in Erinnerung ruft. Der Film wurde nicht auf einer Leinwand gezeigt, sondern auf einem Stück Stoff, das schwankte, als die Luft im Raum es hin und her wehte. Der Film wurde 2022 in die Kollektion des Stedelijk Museums in Amsterdam aufgenommen.
  3. Dieser Film auf Tadschikisch ist ein Drama über das Leben von vier Generationen von Frauen unter einem Dach in Usbekistan, die sich gegenseitig Trost zusprechen und versuchen, ihr Schicksal zu meistern.
  4. Dieser Film begleitet die Künstlerin und andere usbekische Frauen bei der spontanen Durchführung eines Fruchtbarkeitsrituals. Die Frauen spazieren um einen Friedhof in Karakalpakstan, einer autonomen Republik im Nordosten Usbekistans. Zusammen erinnern sie an die Charaktere eines weit verbreiteten Mythos, QYRQ QYZ, der den Bau der Stätte auf die letzte Schlacht von vierzig Amazonen gegen die Perser zurückführt. Im Film wird ein verlassener Fahnenmast aus Metall, ein Überbleibsel aus der Sowjetzeit, zum Ort der Erinnerung. Durch Zitate löst der Film die Grenzen zwischen Mythologie und Gegenwart auf.
  5. Das Werk ist dem vom Aussterben bedrohten Kaspischen Tigers gewidmet. In dem Film schneidet Saodat Ismailova Szenen aus ihrer Heimat Usbekistan, wo der Tiger zuletzt gesehen wurde, zusammen mit „Geisterarchiven“, nämlich Erinnerungen, die in Interviews und Träumen gesammelt wurden. Die Partitur der in Oslo lebenden Komponistin Camille Norment vereint Aufnahmen einer Glasharmonika und Ismailovas eigener Stimme und erinnert an den Tiger, deren tiefe Frequenzen angeblich ihre Opfer hypnotisieren.
  6. Dieser Film wurde für das Asian Film Archive produziert. In nur 13 Minuten zeichnet Saodat Ismailova anhand von Bildern aus usbekischen Filmen den Fortschritt der Frauen in ihrem Heimatland im vergangenen Jahrhundert nach – von der Unterdrückung durch das Patriarchat über die Befreiung im Kommunismus bis zur sexuellen Verwirklichung während der Perestroika. Der Film beginnt mit körnigen Aufnahmen von Frauen, die während der Stummfilmzeit Treppen hinuntergeworfen wurden, und endet mit Bildern, die Ismailovas „40 Days of Silence“ entlehnt sind.
  7. In diesem Film ruft Saodat Ismailova das Schicksal usbekischer Frauen in Erinnerung, die durch ihre durch das kommunistische Regime ab 1927 zunehmend repressiver durchgesetzte Entschleierung zu Opfern von Femiziden durch den autoritären Backlash ihrer Familien wurden. Der Film erinnert an die 1924 ins Leben gerufene politische Emanzipationsbewegung muslimischer Frauen unter dem kommunistischen Regime für das Recht, ihre Burka abzulegen. Die Kampagne hatte dramatische Folgen für die usbekischen Frauen, die zwischen traditionellen gesellschaftlichen Normen und der sowjetischen Staatsideologie gefangen waren. Der Film ist dem Gedenken an jene Frauen gewidmet, die ihr Leben für die Freiheit der heutigen usbekischen Frauen geopfert haben. Zentrales Kampfwort für die von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion geplante Emanzipierung der Frauen wurde „Hujum“, zu Deutsch „Angriff“, gemeint als Attacke auf alte, tradierte Lebensweisen. Durch die Zusammenführung von Ausschnitten aus seltenen Filmen von Latif Fayziyev, Ali Chamrajew, Shukhrat Abbasov und anderen sowie einer Partitur der in London geborenen Musikerin Seaming To kommentiert das Werk auch die Rolle, die das Kino im anhaltenden Kampf der Frauen um Selbstbestimmung spielt.
  8. Das Wort chilltan stammt aus dem Persischen und bedeutet „40 Körper“ oder „40 Wesen“, die keinem bestimmten Geschlecht angehören. Inspiriert von diesem Motiv kombiniert Saodat Ismailova’s Arbeit Film, Performance und Environment in einer Reihe miteinander verbundener Räume im Keller des Fridericianums. Über ihre Installation hinaus hat Saodat Ismailova Künstlerinnen aus unterschiedlichen zentralasiatischen Ländern eingeladen, die im Kollektiv DAVRA zusammenkamen. Auch hier wiederholt sich das Motiv der Zahl 40: Über 40 Tage hinweg organisierten 18 Künstlerinnen aus Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan öffentliche Veranstaltungen mit Musik, Tonskulpturen und Film im Rahmen des Programms.
  9. Dieses Dreikanalvideo wurde in unterirdischen Kammern in der Nähe von Heiligengräbern in Taschkent gedreht. Diese Kammern zur Meditation wurden oft neben den Gräbern lokaler Heiliger in Zentralasien errichtet. Heute werden sie von der lokalen Bevölkerung zur Selbstisolation genutzt. Die Zelle hat die Form einer achtflügeligen Kuppel und besteht aus drei Ebenen, die sich in den drei Kanälen des Films widerspiegeln. Der erste Bildschirm dokumentiert Menschen, die das Chillahona besuchen. Der zweite Screen zeigt die Gläubigen bei der Durchführung ihrer Rituale und Gebete, während der dritte den Besuch einer besorgten jungen Frau und ihren Moment der Selbstisolation nachzeichnet. Neben den Videos hängt eine traditionelle Stickerei, die die weibliche Kosmologie darstellt und an Schutz, Heilung und Fruchtbarkeit erinnert. Der weiße Stoff wird mit farbigem Licht beleuchtet. Saodat Ismailova arbeitet hier an der Grenzlinie realer und imaginärer Räume und greift anhand epischer Folkloregeschichten und dem Wissen ihrer Vorfahren auf die spezifische kulturelle Identität und Geschichte Zentralasiens zurück. Bei dem Film handelt es sich im Wesentlichen um eine abstrakte Nacherzählung der zentralasiatischen Version der Aschenputtel-Erzählung. In der Lesart der Künstlerin wird die weibliche Protagonistin nicht durch die Ehe, sondern durch ihre eigenen Entscheidungen befreit.
  10. Die Geschichte der vierzig Kriegerinnen des Titels wird von einer rein weiblichen Musikgruppe, der Aga Khan Music Initiative, erzählt, die traurige Melodien auf traditionellen Instrumenten spielt und vor dem Filmhintergrund der eindringlichen, kargen Landschaften Karakalpakstans singt.
  11. Dieses Werk beschreibt spirituelle Praktiken der Region anhand von Fotografien, Videoinstallationen und Skulpturen.
  12. Dies ist die erste große Retrospektive von Saodat Ismailova.
  13. Dieser Filmpreis wird jedes Jahr vom Amsterdamer Eye Filmmuseum an Kunstschaffende verliehen, die an der Schnittstelle von bildender Kunst und Film arbeiten.

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n o p q Alex Greenberger: A Rising Filmmaker Accomplishes the Rare Feat of Showing at Both Documenta and the Venice Biennale. In: Art news. 22. August 2022, abgerufen am 14. Januar 2025.
  2. a b c d e f g h i j Saodat Ismailova wins £25,000 Eye Art & Film Prize. In: ArtReview. 10. Juni 2022, abgerufen am 14. Januar 2025.
  3. a b c d e f Agnieszka Pikulicka-Wilczewska: Uzbekistan: Where memory falters, creativity begins – a glance at Saodat Ismailova. In: eurasianet. 28. August 2019, abgerufen am 14. Januar 2025.
  4. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z aa ab ac ad ae af ag ah ai aj ak al am an ao ap aq ar as at au av aw ax ay az ba bb bc bd be bf bg bh bi bj bk bl bm bn bo bp bq br bs bt bu bv bw bx by bz ca cb cc cd ce cf cg ch ci cj ck cl cm Represented artists. Aspan Gallery, abgerufen am 14. Januar 2025.
  5. Saodat Ismailova. TorinoFilmLab, abgerufen am 14. Januar 2025.
  6. a b c d Saodat Ismailova wins Eye Art & Film Prize 2022. Eye, 10. Juni 2022, abgerufen am 14. Januar 2025.
  7. a b Saodat Ismailova. documenta fifteen, abgerufen am 14. Januar 2025.
  8. UNESCO Almaty will present recommendations for digital skills development for Cultural and Creative Industries in Central Asia. UNESCO, 17. Mai 2023, abgerufen am 14. Januar 2025.
  9. Major donation of work from Central Asia. Stedelijk Museum, 16. April 2022, abgerufen am 23. Januar 2025.
  10. a b c d e f Saodat Ismailova. Abgerufen am 14. Januar 2025.
  11. Scott Macaulay: Sundance Director’s Lab diary: Saodat Ismailova. In: Filmmaker. 24. Juni 2010, abgerufen am 14. Januar 2025.
  12. a b c d Saodat Ismailova. Almaty Museum of Arts, abgerufen am 23. Januar 2025.
  13. a b c Dislocation Blues: Saodat Ismailova. Tate Gallery of Modern Art, 27. Mai 2023, abgerufen am 25. Januar 2025.
  14. Saodat Ismailova: Stains of Oxus. Le Fresnoy, abgerufen am 23. Januar 2025.
  15. Saodat Ismailova “The Haunted”. In: vdrome. Abgerufen am 23. Januar 2025.
  16. Saodat Ismailova: Two Horizons. Le Fresnoy, abgerufen am 23. Januar 2025.
  17. a b Den Schleier lüften. Kunsthalle Schirn Frankfurt, abgerufen am 23. Januar 2025.
  18. Saodat Ismailova: Chillahona. In: Universes in Universe. Abgerufen am 23. Januar 2025.
  19. Liv Cuniberti: Saodat Ismailova. Biennale di Venezia, abgerufen am 14. Januar 2025.
  20. Séances spéciales. Frac Franche-Comté, abgerufen am 23. Januar 2025.
  21. Saodat Ismailova, DAVRA, and 40 days of Central Asia at documenta 15. In: Adamdar News. Abgerufen am 13. Juni 2022.
  22. a b Saodat Ismailova. In: Universes in Universe. Abgerufen am 23. Januar 2025.
  23. TKF 18. (PDF) Tromsø Kunstforening, abgerufen am 23. Januar 2025.
  24. Le Projet Qyrq Qyz. Musée du quai Branly, Paris, abgerufen am 23. Januar 2025.
  25. a b c d e f Saodat Ismailova. In: e-flux film. Abgerufen am 14. Januar 2025.
  26. Saodat Ismailova, an Uzbek film-maker, bridges two worlds. The Economist, 17. April 2019, abgerufen am 14. Januar 2025.
  27. Saodat Ismailova. Centre Pompidou, abgerufen am 23. Januar 2025.
  28. Double Horizon. Le Fresnoy, abgerufen am 23. Januar 2025.
  29. Saodat Ismailova - A seed under our tongue. Pirelli HangarBicocca, abgerufen am 23. Januar 2025.
  30. Saodaz Ismailova in conversation with Dina Akhmadeeva – Eye Filmmuseum, Amsterdam. In: Vimeo. 21. Februar 2023, abgerufen am 24. Januar 2025.