Schelder Kirmes

Die Dorfflagge und -farben sind an den Festtagen überall in Niederscheld zu sehen.

Die Schelder Kirmes (historisch Niederschelder Kirchweih) ist ein traditionsreiches Volksfest in Niederscheld (vereinfachend Scheld genannt) bei Dillenburg. Mit einer erstmaligen Erwähnung im Jahr 1488 ist es eines der ältesten Volksfeste im Land Hessen. Es findet immer im ungeraden Jahr am zweiten Augustwochenende statt und wird von der örtlichen Burschenschaft ausgerichtet.

Besonders machen das Fest seine vielen Traditionen und Bräuche, die während der Festtage mit klassischen Party-Elementen vermischt werden und auch außerhalb der eigentlichen Festtage gepflegt werden. Mehrere Tausend Menschen besuchen die Kirmes, die auf dem örtlichen Festplatz „Unter den Linden“ an der Dill stattfindet, bei jeder Ausrichtung. Gefeiert wird von Samstag bis Dienstag, u. a. mit drei Umzügen durch das Dorf.

Ablauf und Traditionen

Vorbereitung

Einige Monate vorher muss die Kirmes traditionell von den unverheirateten Schelder Burschen und Mädchen per Abstimmung „genehmigt“ werden. Danach, etwa vier Monate vor dem Kirmestermin, bestimmt die Burschenschaft das Kirmeskomitee, die „Die Acht Ältesten“.[1] Mit ihren acht Partnerinnen und Schriftführer wie Kassierer bilden sie die organisatorische Leitung der Kirmes. Für die Organisation finden mehrere Kirmesversammlungen in ortsansässigen Lokalen statt.[2] Die Partnerinnen der acht Ältesten müssen etwa vier Wochen vor dem Fest den Hammel auf seiner Weide fangen, der als eine Art Maskottchen das Volksfest repräsentiert. Vor den Festtagen wird er mehrmals durch das Dorf geführt und reich gefüttert.[3] Er wird zu Ehren eines wichtigen Akteurs benannt, der mit der Geschichte von Dorf und Kirmes in Verbindung stand. Geleitet vom „Hammelführer“, führt er beide Festzüge an.[4][5] Außerdem besorgen die acht Ältesten die bunten „Kirmestücher“ (früher ein blaues und ein weißes Seidentuch).[6]

An der Spitze der acht Ältesten stehen die „Kirmeseltern“, ein „Kirmesvater“ („Kirmesbabbe“) und eine „Kirmesmutter“ („Kirmesmudder“). Diese verkünden in der letzten Kirmesversammlung am Donnerstag im Festzelt die Statuten.[7] Dort erklingt zum ersten Mal der „Niederschelder Kirmesmarsch“, bekannt als „Alter Jägermarsch“. Anschließend folgt mit dem Einzug der Kapelle die erste Feier der inoffizielle Auftakt.[8][9]

Die Festtage

Nach einer Pause am Freitag, in der das Dorf geschmückt wird, führen die „Kirmeseltern“ am Samstag den Fackelzug an, dessen Einzug ins Festzelt den offiziellen Start der Schelder Kirmes bildet. Nach drei Böllerschüssen vom „Stein“, hoch über Niederscheld, setzt sich der Zug in der Feldstraße in Bewegung. Die Tour führt weiter durch die Nix- und die Neugasse, die Bahnhof- und die Hauptstraße, durch den Alten Weg, die Baumgartenstraße, die Kreuzstraße, die Neu- und die Nixgasse bis zum Festzelt an der Dill.[10] Darauf folgt ein kurzer Festkommers und eine weitere Feier im Festzelt.[11] Vor dem Zelt stehen Fahrgeschäfte, Los- und Schießbuden bereit.[12]

Am Sonntag, dem „Tag der Vereine“, stehen die Niederschelder Vereine im Mittelpunkt. Diese können sich beim kleinen Festzug am Nachmittag präsentieren, dann folgt eine weitere Feier im Festzelt.[8]

Der Kirmesmontag ist der Tag mit den meisten Traditionen und Bräuchen. In den frühen Morgenstunden läuft die „Mordgeschichte“ – das sind alle jungen Schelder Männer, die 18 und 19 Jahre alt sind (früher die Musterungsjahrgänge) – mit viel Radau und speziellen Ritualen durch die Schelde bis zur Mündung in die Dill, ziehen durch die Straßen und verlangen von vorbeifahrenden Fahrzeugen Wegzoll.[13] Der Name „Mordgeschichte“ ergibt sich aus den Moritaten, die singend von geschichtlichen Begebenheiten erzählten.[14][15]

Danach treffen sich die Niederschelder Männer, die seit der letzten Kirmes geheiratet haben mit ihren Ehefrauen und „hälsen den Pohl“, umarmen also einen festlich dekorierten, etwa 2,50 Meter langen Holzpfahl. Auch die in der Zwischenzeit nach Scheld gezogenen Paare sind dazu aufgerufen. Damit sind sie „offiziell“ in die Dorfgemeinschaft aufgenommen.[16] Als Ursprung wird ein Fruchtbarkeitssymbol oder ein Phallus angenommen.[17] Diese Tradition wird von den „50-Jährigen“ („Fuffies“) organisiert. Ihnen gehören die Männer an, die vor dem Kirmestermin 50 und 49 Jahre alt sind, und ihre Ehefrauen.[9]

Am Vormittag folgt weiter ein Frühschoppen im Festzelt. Dabei findet auch der „Kisschestanz“, ausgerichtet von den „50-Jährigen“, statt. Die verheirateten Frauen suchen sich aus den Festgästen ihre Tanzpartner aus, mit denen sie sich zum Tanz auf dem Tanzboden einfinden. Dabei haben sie ein Kissen zwischen den Beinen, das sie fallen lassen, sobald die Blaskapelle aufhört zu spielen. Nun kniet man sich zusammen auf das Kissen, umarmt sich und gibt sich ein Küsschen. Zum „Reinigen“ gibt es ein Schnaps. Anschließend kann sich die Frau mit ihrem Kissen einen neuen Tanzpartner aussuchen und das Ganze beginnt von vorne. Laut den „Kirmesstatuten“ darf sich dem Tanz niemand verwehren, wenn er ausgesucht wird.[7]

Gegen Mittag gibt es eine kurze Pause, wonach dann der große Festzug, der sich in der Feldstraße aufstellt, durch das Dorf zieht. Vereine, Stammtische und Kirmesgruppierungen zeigen sich dabei mit außergewöhnlichen Gruppenkostümen oder thematisch gestalteten Wagen und unterhalten die Zuschauer in den Straßen. Auch die „Pohlhälser“ und die „Mordgeschichten“ der vergangenen Jahre laufen mit. Der „Kirmespohl“ wird dabei von dem Ehemann getragen, der als letzter vor der Kirmes geheiratet hat. Die „Mordgeschichte“ des laufenden Jahres stellt einen über Wochen hinweg gebauten Motivwagen.[18] Im Anschluss findet die Prämierung des Festzuges statt, darauf folgt eine erneute Feier im Festzelt.[8]

Am Dienstag wird die Kirmes „beerdigt“. Dabei wird diese in Form einer Puppe von der „Mordgeschichte“ auf dem Festplatz verbrannt und die Asche anschließend vergraben.[19] Am Nachmittag werden der Kirmeshammel und die Kirmestücher verlost. Der Gewinner bringt das Schaf zurück zu seiner Herde. Zum Schluss gibt es zum Ausklang eine weitere Feier im Festzelt.[7]

Zwei Wochen später folgt die „Nachkirmes“, bei der die Burschenschaft die Abrechnung bekannt gibt und überprüfen lässt.[15]

Geschichte

Der Ursprung der Schelder Kirmes liegt wie bei anderen, ähnlich benannten Festen in dem Wort „Kirchmesse“ und beschreibt die Feierlichkeiten die zu Ehren einer Kircheinweihung. Wann genau in Niederscheld die erste Kirche erbaut und ihre Einweihung gefeiert wurde lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Der erste Beleg ist eine Erwähnung im Jahr 1488 in den Nassau-Dillenburger Renteirechnungen. Wegen einer Schlägerei auf der Kirmes wurden junge Leute aus Herbornseelbach und Oberscheld, zusammen 20 Personen, mit 25 Gulden Strafe belegt. Dies gilt als Ursprung der Schelder Kirmes.[6] In den folgenden Jahrhunderten gerieten die Kirmessen im Land Nassau und Vorgängergebilden in Verruf und waren teilweise sogar verboten.

Als Grund für den Zwei-Jahres-Rhythmus der Kirmes wird vermutet, dass bis ins 17. Jahrhundert jährlich eine Kirmes anstand, durch den Dreißigjährigen Krieg und die damit einhergehende Verarmung der ländlichen Bevölkerung jedoch der Turnus geändert wurde.[20]

Als Erklärung für die Tradition des „Kirmeshammels“ wird angenommen, dass Niederscheld früher große Schafherden besaß, wobei der prächtigste Hammel aus der besten Zucht wurde als Kirmeshammel verwendet wurde. Die Kirmestücher sollen aus dem selbstgewebten Leinen der Schelder Mädchen ausgesucht worden sein. Mit dem Stellen von Hammel, Tüchern oder „Kirmeseltern“ ging ein Gewinn an Ansehen im Dorf einher.[6]

Der fest umrissene Verlauf der Kirmes hat sich wohl erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts herausgebildet. Früher schlug man „Unter den Linden“ einfach Tische und Bänke auf. Der Tanzboden wurde rund um „Friedenslinde“ (1871 gepflanzt, 1945 zerstört) gelegt. Am Tag feierte man an der Dill und abends zog man geschlossen ins Dorf und feierte in verschiedenen Wirtschaften weiter. Das geht darauf zurück, dass die Kirmes damals fand die Kirmes am letzten Sonntag im September stattfand, nach der Ernte, wo es abends schon kühl wurde. Eine erste Verlegung in den Sommer zugunsten des besseren Wetters erfolgte Ende des 19. Jahrhunderts.[21]

In den 1920er Jahren, als die Einwohnerzahl des Dorfes weiter zunahm, verlegte man das Fest ganz auf den Festplatz an der Dill und baute wie heute ein Zelt auf. Gleichzeitig wurde das Festdatum endgültig vom September auf Ende Juli/Anfang August verlegt, womit auch der Ausdruck „Sommerkirmes“ Einzug fand. Seitdem gibt es auch Buden auf dem Festplatz.[6] Die erste Kirmes nach dem Zweiten Weltkrieg fand erst 1951 statt, als ältere Burschen die Sache in die Hand nahmen. Das wurde jedoch zu einer Herausforderung, da es zunächst keine alten Unterlagen gab. Anhand eines Exemplares der alten Kirmesstatuten, das nach vielem Rundfragen und Kramen gefunden wurde, ließ sich der Ablauf jedoch rekonstruieren und die Kirmes bekam einen Neuanafang.[22] Seit 1961 wird auch die „Kirmesbeerdigung“ zelebriert.[14]

Die Konzentration an Bräuchen, die genauen Statuten und ihr striktes Einhalten tragen zum Erhalt des Kirmesbrauchtums bei. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen „Kirmessen“ in der Region ist die hohe Wirkung in den Ort hinein: Beinahe jeder Niederschelder ist involviert, geht hin oder steht anderweitig dahinter.[23][15]

Kritik

Im Jahr 2007 gab es einen öffentlichen Brief eines Tierschützers, der die Mitführung des Hammels während dem Umzug verhindern wollte. Die Niederschelder reagierten mit dem Motto „Mehr als ein Schelder kann ein Hammel nicht werden“ und zahlreichen Motivwagen zum Thema.[24]

Einzelnachweise

  1. Kirmes - die 8 ältesten. In: niederscheld.de. Abgerufen am 26. August 2025.
  2. Wolfgang Stein: Die Acht Ältesten. In: schelder-kirmes.de. Schelder Kirmes e. V., abgerufen am 26. August 2025.
  3. Kirmes - Der Kirmeshammel. In: niederscheld.de. Abgerufen am 26. August 2025.
  4. Katharina Weber: Kirmeshammel „Erich“ ist in Scheld der Star. In: mittelhessen.de. Dill-Zeitung, 25. Juli 2025, abgerufen am 26. August 2025.
  5. Olaf II. ist Schelds neuer Kirmeshammel. In: mittelhessen.de. Dill-Zeitung, 3. Juli 2023, abgerufen am 26. August 2025.
  6. a b c d erste Schelder Kirmes. In: niederscheld.de. Abgerufen am 26. August 2025.
  7. a b c Katharina Weber: Brauchtum und Programm: Scheld steht zur Kirmes wieder kopf. In: mittelhessen.de. Dill-Zeitung, 5. August 2025, abgerufen am 26. August 2025.
  8. a b c Schelder Kirmes Dillenburg 2025. In: Freizeit Mittelhessen. Abgerufen am 26. August 2025.
  9. a b Katharina Weber: Schelder Kirmes: Niederscheld steht wieder Kopf. In: mittelhessen.de. Dill-Zeitung, 3. August 2023, abgerufen am 26. August 2025.
  10. Wolfgang Stein: Der Fackelzug. In: schelder-kirmes.de. Schelder Kirmes e. V., abgerufen am 26. August 2025.
  11. Helmut Blecher: Kirmes in Niederscheld versetzt Dorf in Ausnahmezustand. In: mittelhessen.de. Dill-Zeitung, 10. August 2025, abgerufen am 26. August 2025.
  12. Katharina Weber: Schelder Kirmes startet mit Fackelzug und „Mission:2Party“. In: mittelhessen.de. Dill-Zeitung, 13. August 2023, abgerufen am 26. August 2025.
  13. Katharina Weber: Bei der Schelder Kirmes geht es richtig rund. In: mittelhessen.de. Dill-Zeitung, 14. August 2023, abgerufen am 26. August 2025.
  14. a b Kirmes - Mord(s)geschichte. In: niederscheld.de. Abgerufen am 26. August 2025.
  15. a b c Arno W. Brück: Niederscheld, Geschichte und Schicksal eines hessischen Dorfes. Niederscheld 1966 (schelder-kirmes.de [PDF]).
  16. Katharina Weber: Tausende feiern die Schelder Kirmes. In: mittelhessen.de. Dill-Zeitung, 11. August 2025, abgerufen am 26. August 2025.
  17. Kirmes - Das Pohlhälsen. In: niederscheld.de. Abgerufen am 26. August 2025.
  18. Wolfgang Stein: Mordgeschichte. In: schelder-kirmes.de. Schelder Kirmes e. V., abgerufen am 26. August 2025.
  19. Wolfgang Stein: Die Beerdigung der Kirmes. In: schelder-kirmes.de. Schelder Kirmes e. V., abgerufen am 26. August 2025.
  20. Katharina Weber: Schelder Kirmes: Niederscheld steht wieder Kopf. In: mittelhessen.de. Dill-Zeitung, 3. August 2023, abgerufen am 26. August 2025.
  21. Zeitung für das Dillthal. Nr. 83, 17. Juli 1886.
  22. Kirmes 1951 - Mordgeschichte. In: niederscheld.de. Abgerufen am 26. August 2025.
  23. Wolfgang Stein: Ausrichter. In: schelder-kirmes.de. Schelder Kirmes e. V., abgerufen am 26. August 2025.
  24. Wolfgang Stein: Der Kirmeshammel. In: schelder-kirmes.de. Schelder Kirmes e. V., abgerufen am 26. August 2025.