Siegmund Klau
Siegmund Klau (* 23. September 1890 in Sankt Petersburg; † 7. Mai 1941 in Schroda, Wartheland) war ein deutschbaltischer Publizist, Dichter und Politiker. Er gehörte in der Zwischenkriegszeit zu den Wortführern der deutschen Minderheit in Estland, war Mitglied im Kulturrat der Deutschen und Mitbegründer der Estländisch-Deutschen Volksnationale Vereinigung (VNV). In Artikeln und Gedichten verband er idealistische Kulturauffassung mit konservativ-nationalem Politikverständnis. Sein Anliegen war die Förderung eines „estnisch-deutschen“ Selbstverständnisses, das Loyalität zum estnischen Staat mit dem Eintreten für die deutschsprachige Kultur verband, sich aber zugleich vom Nationalsozialismus im Deutschen Reich abgrenzte.[1]
Leben
Klau besuchte die St. Annen-Schule in Sankt Petersburg und studierte dort von 1909 bis 1916 Philosophie und Alte Sprachen. Er gehörte 1909 zu den Mitbegründern der Studentenverbindung Hyperborea (später Fraternitas Normannia). Nach Kriegsdienst und Tätigkeiten als Hauslehrer kehrte er 1919/20 nach Estland zurück. In Dorpat war er Redakteur der Dorpater Zeitung und Sekretär des deutschbaltischen Kulturkuratoriums.[2]
1923 veröffentlichte er in den Dorpater Nachrichten das Gedicht „Wir sind Balten“, das als programmatischer Ausdruck deutschbaltischer Selbstbehauptung gilt:
- „Wir sind Balten! – Ein Wort, wie ein Sturmruf zur Schlacht, / wie ein leuchtender Stern in der endlosen Nacht.“[3]
Ab Ende der 1920er Jahre wandte er sich publizistisch gegen den estnischen Parlamentarismus. In seiner Artikelreihe Das Parteiwesen Estlands (Baltische Monatsschrift, 1931) schrieb er:
- „Die Parteien unseres Landes gleichen nicht selten Kampfgemeinschaften, deren Ziel nicht im Aufbau, sondern im Sieg über den Gegner liegt.“[4]
Politisches Wirken
1932 wurde Klau Mitglied im deutschen Kulturrat.[5] Nach dem Staatsstreich von Konstantin Päts 1934 und dem Verbot der Parteien forderte er in programmatischen Artikeln eine Volksgemeinschaft als Alternative zu Parlamentarismus und Individualismus:
- „Volksgemeinschaft ist nicht die Summe der Einzelnen, sondern ein gewachsenes Ganzes. Der Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“[6]
1935/36 gründete er mit Gleichgesinnten die Estländisch-Deutsche Volksnationale Vereinigung (VNV). Deren Organ war die von ihm mitgestaltete Zeitung Die Neue Zeit. Die VNV verstand sich als eigenständige Erneuerungsbewegung, die einerseits Loyalität gegenüber dem estnischen Staat betonte, sich andererseits deutlich vom Nationalsozialismus im Reich abgrenzte.[7] Programmatisch setzte Klau auf soziale Umgliederung, Jugendarbeit und weltanschauliche Schulung.
Innerhalb der VNV kam es ab 1937 zu Spannungen; 1938 wurde Klau nicht wieder in den Vorstand gewählt. Er warnte jedoch weiterhin:
- „Volksgemeinschaft ist nicht eine Sache der Mehrheit, sondern der Treue. Wer sie ernst nimmt, weiß, dass sie mehr fordert als sie gibt.“[8]
Umsiedlung und letzte Jahre
Mit dem Hitler-Stalin-Pakt fiel Estland 1939 in die sowjetische Interessensphäre. Klau beteiligte sich an der Organisation der Umsiedlung in der Volksdeutschen Vereinigung (VDV). In der Deutschen Zeitung schrieb er 1939:
- „Nur in der strengen Disziplin, im Aufgehen des Einzelnen in der Gemeinschaft, werden wir die Kraft finden, die Aufgabe dieser Stunde zu erfüllen.“[9]
Die Umsiedlung bedeutete das Ende seines Lebenswerks: Die Idee eines eigenständigen „estnischen Deutschtums“ scheiterte an der geopolitischen Realität. Klau starb am 7. Mai 1941 in Schroda (Wartheland).[10]
Forschung und Rezeption
Die Bedeutung Klaus ist mehrfach von modernen Historikern dargestellt worden: Detlef Henning betont, dass „die Gründung der Volksnationalen Vereinigung vor allem das Werk jüngerer deutschbaltischer Intellektueller wie Siegmund Klau“ gewesen sei.[11]
Kaido Laurits ordnet Klau als einen der wenigen Ideologen ein, „die versuchten, ein ‚estnisch-deutsches‘ Selbstverständnis zu formulieren.“[12]
Jüri Kivimäe hebt insbesondere seine Rolle in der Umsiedlungszeit hervor: „Publizisten wie Siegmund Klau standen vor der Aufgabe, das Unabwendbare in Kategorien von Treue und Disziplin zu deuten.“[13]
Brüggemann und Rifk sehen in der von Klau mitbegründeten Volksnationalen Vereinigung „den letzten Versuch, den Deutschbalten eine eigenständige politische Identität zu geben.“[14]
Auch das Biographische Lexikon (BBLD) führt Klau mit ausführlichem Eintrag als „Publizist und Politiker, [der] zur führenden Generation der deutschbaltischen Minderheit in der Zwischenkriegszeit“ gehörte.[15]
Werke (Auswahl)
- Wir sind Balten (Gedicht, 1923)
- Das Deutschtum Dorpats (Artikel, 1925)
- Das Parteiwesen Estlands (Artikelreihe, 1931)
- Volksgemeinschaft (Artikel, 1934)
- Stürmende Jugend, Vortrupp, Kameradschaftslied (Gedichte, 1935/36)
- Aus der inneren Arbeit der VDV (Artikel, 1939)
Literatur
- Detlef Henning: Die Deutschen in Estland 1918–1939. Hamburg: Lit Verlag 1990.
- Kaido Laurits: Die Deutschbalten in Estland 1918–1934. Dissertation, Universität Tartu 2010.
- Jüri Kivimäe: „Die Umsiedlung der Deutschbalten 1939/40.“ In: Nordost-Archiv, NF IV (1995), S. 186–194.
- Olaf Mertelsmann (Hg.): Estland im Umbruch 1918–1940. Hamburg 2006.
- Brüggemann / Rifk: Deutsche in Estland. Politik und Kultur 1918–1940. Berlin 2024.
Einzelnachweise
- ↑ BBLD: Klau, Siegmund. Biographisches Lexikon der Baltischen Deutschen.
- ↑ BBLD: Klau, Siegmund.
- ↑ Dorpater Nachrichten, 17. März 1923, S. 2.
- ↑ Baltische Monatsschrift, Jg. 1931, Heft 3, S. 145–152.
- ↑ Revalscher Kalender 1932, S. 41 (Verzeichnis der Mitglieder des Kulturrats, Kreis Harrien).
- ↑ Revaler Zeitung, 22. Juni 1934, S. 3.
- ↑ Deutsche Zeitung, Dorpat, 26. November 1936, S. 1.
- ↑ Die Neue Zeit, 26. Oktober 1935, S. 1.
- ↑ Deutsche Zeitung*, 7. Oktober 1939, S. 2.
- ↑ BBLD: Klau, Siegmund.
- ↑ Detlef Henning: Die Deutschen in Estland 1918–1939. Hamburg: LIT 1990, S. 189.
- ↑ Kaido Laurits: Die Deutschbalten in Estland 1918–1934. Diss., Universität Tartu 2010, S. 215.
- ↑ Jüri Kivimäe: „Die Umsiedlung der Deutschbalten 1939/40“. In: Nordost-Archiv, NF IV (1995), S. 192.
- ↑ Brüggemann / Rifk: Deutsche in Estland. Politik und Kultur 1918–1940. Berlin 2024, S. 203.
- ↑ BBLD: Klau, Siegmund (1890–1941), Baltisches Biographisches Lexikon digital, abgerufen am 26. August 2025.