Stella Nyanzi

Stella Nyanzi (; geboren am 16. Juni 1974 in Masaka[1] oder Jinja,[2] Uganda) ist eine ugandische Gender-Forscherin, medizinische Anthropologin und Feministin, die im April 2017 inhaftiert wurde, nachdem sie den ugandischen Regierungschef Yoweri Museveni und dessen Frau und Bildungsministerin des Landes, Janet Museveni, in einem Streit um Monatshygiene-Produkte für Mädchen beleidigt hatte. Im Februar 2020 kam Nyanzi frei. Seit Januar 2022 lebt sie im Exil in Deutschland. Sie lebt in Berlin und veröffentlicht ihre politischen Gedichte als Form einer bewusst „radikalen Unhöflichkeit“, mit der sie die Autorität des Regimes symbolisch untergräbt.[3] 2025 erschien ihr vierter Gedichtband „Im Mundexil“ in englischer und deutscher Sprache (Übersetzung: Matthias Göritz) im Verlag Das Wunderhorn.[3] Die Verse thematisieren in drastischen Bildern den ugandischen Alltag sowie Korruption, Homophobie und Folter unter Musevenis Herrschaft.[3]
Leben und Wirken
Stella Nyanzi studierte von 1993 bis 1996 an der Makerere University in Kampala und absolvierte einen Bachelor of Arts in Journalismus, Kommunikationswissenschaft und Literatur. Von 1999 bis 2000 studierte sie am University College London und erlangte einen Master of Science in medizinischer Anthropologie. Im Anschluss absolvierte sie einen Master of Arts in Entwicklungsforschung und Finanzwissenschaft an der Nkumba University. Ihre Erziehung in einer anglikanischen Familie und an einem kirchlichen Internat beschreibt Nyanzi als von strengen Benimmregeln geprägt, die Frauen Zurückhaltung abverlangten.[3] Als Wendepunkt ihres Aktivismus nennt sie den Tod des Vaters 2014 wegen Medikamentenmangels und den Tod der Mutter 2015, die vergeblich auf einen Arzt und einen Krankenwagen wartete, was sie dem maroden, korrupten Gesundheitssystem Ugandas zuschreibt.[3]
Nyanzi wurde nach ihrer Promotion (2003 bis 2008) an der London School of Hygiene and Tropical Medicine über Sexualität von Frauen in Afrika und geschlechterspezifische Machtpolitik Research Fellow an der Makerere University. Für ihren feministischen Aktivismus nutzt sie soziale Medien wie Facebook und Twitter. Unter dem Stichwort #Pads4GirlsUG bei Twitter und auf einer Crowdfunding-Website sammelte sie Geldspenden, um an Schulen kostenlose Binden an Mädchen zu verteilen. Hintergrund ist eine starke Tabuisierung der Menstruation in Uganda, Frauen gelten währenddessen als unrein. Da moderne Monatshygiene zu teuer ist, bleiben viele Mädchen während ihrer Periode zu Hause und versäumen den Schulbesuch. Ihre bewusst obszöne und sexualisierte Sprache versteht sie als politisches Mittel, das vermeintliche Respektspersonen entzaubern und Herrschaft in Frage stellen soll.[3]
Ugandas Präsident Yoweri Museveni (im Amt seit 1986) hatte in seiner Wahlkampagne 2016 versprochen, kostenlose Binden für alle Mädchen an den Schulen zu verteilen, und so viele Stimmen gesammelt, vor allem bei Frauen. Auch die Ernennung seiner Frau Janet zur Bildungsministerin, die angekündigt hatte, den Bildungssektor zu reformieren, erzeugte zunächst Hoffnung, die Lage der Frauen und Mädchen in Uganda würde sich grundlegend verbessern. Nachdem das Bildungsministerium bekannt gegeben hatte, dass es aus Geldmangel keine kostenlosen Binden geben würde, schrieb Nyanzi bei Facebook, das Präsidentenpaar sei „ein paar Arschbacken“. Das Zitat im Original lautet: „That is what buttocks do. They shake, jiggle, shit and fart. Museveni is just another pair of buttocks … Ugandans should be shocked that we allowed these buttocks to continue leading our country.“ Wegen dieser Äußerung wurde sie im April 2017 festgenommen. Ihr wird „Cyber-Harassment“ in zwei Fällen vorgeworfen.[4] Nicht-Regierungsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch protestierten gegen die ihrer Ansicht nach ungerechtfertigte Inhaftierung. Der Leiter des African Centre for Media Excellence (ACME) in Kampala bezeichnete Nyanzis Inhaftierung als Angriff auf die Rede- und Meinungsfreiheit, die die ugandische Verfassung garantiere.[5]
Unter dem Twitter-Hashtag #FreeStellaNyanzi äußerten viele afrikanische Frauen ihren Protest und forderten Nyanzis sofortige Freilassung.[6][7][8]
Nyanzi wurde am 10. Mai 2017 gegen Kaution freigelassen;[9][10] die Vorwürfe gegen sie wurden nicht fallengelassen. Im Zuge der Verfahren entblößte sie im Gerichtssaal vor laufenden Kameras ihre Brüste und wurde zu 18 Monaten Haft im Hochsicherheitsgefängnis Luzira verurteilt.[3]
Im Oktober 2018 wurde sie erneut inhaftiert. Sie verzichtete auf eine Freilassung gegen Kaution,[11] weil sie sich nach eigener Aussage im Gefängnis sicherer fühle,[12] sie im Gefängnis von Luzira ihre Bildungsarbeit mit den inhaftierten Frauen fortsetzen wolle und bei einer Freilassung eine weitere unmittelbare Verhaftung erwarte:
„If I can’t write what I want about Museveni on Facebook then I will remain here, and write from here. If I go home, it will be a matter of days before they arrest me again. I don’t want to be free if I can’t write and criticise Museveni.“[13]
Am 20. Februar 2020 hob ein Berufungsgericht das Urteil aus formalen Gründen auf, und Nyanzi kam frei.[14]
Während eines wegen der Coronakrise verhängten Lockdowns in Uganda stiegen die Preise für Lebensmittel im Frühjahr 2020 an, während es gleichzeitig verboten wurde, Essenspenden an Bedürftige zu verteilen. Von Präsident Museveni angekündigte Hilfe für Hungernde blieb weitgehend aus. Stella Nyanzi demonstrierte am 18. Mai 2020 in Kampala mit einigen Anhängern, die Transparente mit „Wir brauchen Essen“ und „Hört auf, Covid-19 zu nutzen, um Menschenrechte zu verletzen“ hielten. Nach kurzer Zeit wurde Nyanzi von Polizisten verhaftet und für drei Tage inhaftiert. In einem Interview sprach sie anschließend über Polizeigewalt und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch Museveni.[15] Nachdem sie Anfang 2021 aus Sorge um ihre Sicherheit bereits für einige Zeit nach Kenia geflohen war, verließ sie im Januar 2022 Uganda und lebt seither mit Förderung eines Writers-in-Exile-Stipendiums des deutschen PEN-Zentrums in Deutschland.[16] Sie ist Mitgründerin des PEN Berlin.[17] In ihren im Exil entstandenen Gedichten verarbeitet sie Erfahrungen von Folter, einer in der Haft erlittenen Fehlgeburt, Flucht und Familienalltag.[3]
Nyanzi knüpft mit ihrer „radikalen Unhöflichkeit“ an eine ugandische Tradition antikolonialer Schmährede an und verweist etwa auf den Intellektuellen Semakula Mulumba, der koloniale Würdenträger öffentlich beleidigte.[3] Dem Vorwurf, sexualisierte Sprache sei „westlich“, widerspricht sie und betont den bewussten Bezug zu indigenen ästhetischen und rhetorischen Traditionen.[3] Als Nalongo, also Mutter von Zwillingen, verweist sie zudem auf in der Kiganda-Kosmologie ihr zugeschriebene Sprech- und Fluchmacht.[3] Zugleich kritisiert sie patriarchale Erwartungen innerhalb der Baganda, etwa die Erwartung, dass Frauen bei Begrüßungen niederknien.[3] Ihre frühe Forschung zu queeren Identitäten in Afrika gilt in Uganda als Tabubruch, und eine jüngere Generation von Dichter:innen knüpft in sozialen Medien an ihre Praxis der radikalen Unhöflichkeit an.[3]
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Stella Nyanzi Bio, Age, Family, Marriage, Career, Politics, Arrest. In: oneworldinformation.com. 17. Januar 2024, abgerufen am 16. Juni 2024.
- ↑ Stella Nyanzi: EXIL — ein Ort, Geschichten zu erzählen von der Zeit, als wir zu Hause waren. In: pendeutschland.de. 16. Juni 2024, abgerufen am 16. Juni 2024.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m Josefine Rein: Ugandische Exil-Künstlerin Stella Nyanzi – Radikal unhöflich. In: taz. 19. September 2025, abgerufen am 20. September 2025.
- ↑ Zurah Nakabugo: Uganda: Police Officer Who Came Up With 'Pair of Buttocks' Charge Speaks. In: AllAfrica.com. 14. April 2017, abgerufen am 16. Juni 2024.
- ↑ Mao, human rights activists condemn Dr Nyanzi arrest. In: Daily Monitor. 11. April 2017, abgerufen am 14. April 2017.
- ↑ Nicola Slawson: Fury over arrest of academic who called Uganda's president a pair of buttocks. In: The Guardian. 13. April 2017, abgerufen am 16. Juni 2024.
- ↑ Simone Schlindwein: Blutiger Kampf um Emanzipation. In: taz. 11. April 2017, abgerufen am 16. Juni 2024.
- ↑ Museveni critic Stella Nyanzi to appear in court. In: Al Jazeera. 10. April 2017, abgerufen am 16. Juni 2024.
- ↑ Betty Ndagire: Uganda: Dr Stella Nyanzi Released on Bail. In: AllAfrica.com. 10. Mai 2017, abgerufen am 16. Juni 2024.
- ↑ Dr Stella Nyanzi released on bail. In: Monitor. 10. Mai 2017, abgerufen am 16. Juni 2024.
- ↑ URN: Nyanzi rejects bail, sent back to Luzira. In: The Observer. 9. November 2018, abgerufen am 10. September 2019 (englisch).
- ↑ Baker Batte: I feel safer in prison – Stella Nyanzi. In: The Observer. 19. Dezember 2018, abgerufen am 10. September 2019 (englisch).
- ↑ Boniface Mwangi: I visited Stella Nyanzi in Luzira … In: Twitter. 10. September 2019, abgerufen am 10. September 2019 (englisch).
- ↑ Ugandans celebrate acquittal of popular activist Stella Nyanzi. In: africanews.com. 21. Februar 2020, abgerufen am 26. Februar 2020 (englisch).
- ↑ Anne Backhaus: Polizeigewalt und Hunger in Uganda: „Das Knie von Diktator Museveni drückt schon zu lange auf unseren Hals“. In: Spiegel online. 20. Juni 2020, abgerufen am 16. Juni 2024.
- ↑ Lizzy Davids: ‘I’m free at last’: Uganda’s rudest poet on prison, protest and finding a new voice in Germany In: The Guardian. 27. Januar 2022, abgerufen am 16. Juni 2024.
- ↑ Mitgründer:innen. Archiviert vom am 18. Juli 2022; abgerufen am 9. Juli 2022.